die Frage: Wie kann Kultur die Zukunft der Region prägen?

30.08.2022
Foto: Tobias Zangl
Foto: Tobias Zangl
„Die Region ist im Umbruch und mit Sorge schauen wir in die Zukunft. Aber inwieweit sind Pandemie, Klimakrise oder Energienot vorüberziehende Schocks oder Katalysatoren eines tiefgreifenden Strukturwandels? Die Elektrifizierung unserer Mobilität und die Digitalisierung unserer Lebens- und Arbeitswelt erzwingen eine Veränderung der Produktionsweise. Und damit einher verändern sich sichtbar unsere Städte, aber auch unsere sozialen Beziehungen, mentalen Konzepte und unser Verhältnis zur Natur. Wir erleben, wie der Zweiklang von Dieselmotor und Dialektik abgelöst wird von Quantenrechnern und Modallogik. Wir bedauern, wie mit den Fabrikhallen die demokratische Öffentlichkeit verschwindet und an ihrer Stelle disparate Communities treten. Und wir erkennen, dass es eine unberührte Natur jenseits des Menschen nicht (mehr) geben kann: Die Natur ist Kultur geworden. Wie lautet heute die Geschichte, die wir erzählen, um uns und anderen klarzumachen wer wir sind? 
All jenen, die nun reflexhaft den nächsten schwäbischen Daniel Düsentrieb beschwören seien die Werke der Science Fiction Autorin Ursula K. Le Guin ans Herz gelegt. Sie warnte, dass wenn Science Fiction Literatur die Mythologie moderner Technologie darstelle, ihr Mythos notwendigerweise tragisch sei. Le Guin verteidigte ihr Genre gegen jene, die es auf einen technologischen Heroismus reduzieren wollten. Bei ihr gibt es keinen Prometheus, keinen blinden Fortschritt und keine Narrative von Triumph oder Niederlage. Science Fiction war für Le Guin nie die heldenhafte Erzählung technologischer Lösungen, weil sie Technologie nicht als „Pfeil und Bogen“, sondern als einen „kulturellen Tragebeutel“ verstand.
Sie nutzte ihre Romane nicht, um über Aliens und Zukunftstechnologien zu phantasieren, sondern um über die Beziehungen von Menschen zueinander und zu ihrer Welt zu schreiben. Sie interessierte menschliches Denken, Handeln und Fühlen. Über die Zukunftswelten, die sie entwarf, schrieb sie: „It’s a strange kind of realism. But it’s a strange kind of reality.“

Ich bin überzeugt: Die kommende Gesellschaft braucht keine neuen Heldengeschichten, sondern einen „kulturellen Tragebeutel“. Einen Behälter, mit dem wir all die Geschichten, Praktiken und Widersprüche, das Hässliche wie das Schöne sammeln und in Ruhe betrachten können. Denn die Zukunft ist keine technologische Lösung, sondern eine Kultur.“

Julian Warner

Künstlerischer Leiter des ÜBER:MORGEN Festivals