Was ist eigentlich Popkultur?

Beantwortet uns Daniel Martin Feige, Professor für Philosophie und Ästhetik an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart.

„Der Begriff der ,Popkultur‘ ist durch seinen Unterschied zur ,Hochkultur‘ definiert. Auf der einen Seite finden sich Rockkonzerte, Sportereignisse und Videospiele, auf der anderen Seite Symphonien, Dramen und Skulpturen. Kriterium des Unterschieds ist vornehmlich die Zugänglichkeit und Massenwirkung der ästhetischen Gegenstände und Ereignisse: Die Hürden, einen Song von The Weeknd zu verstehen, sind deutlich geringer als diejenige, eine Symphonie Mahlers nachzuvollziehen.

In der Tradition der Theorie der Popkultur ist dieser Unterschied oft als ein normativer Unterschied verstanden worden. Popkultur wäre dann eine minderwertige Variante der Hochkultur. Einen besonders drastischen Ausdruck findet diese These in Horkheimers und Adornos klassischer Analyse der Kulturindustrie. Sie machen geltend, dass alle Unterscheidungen zwischen den Gegenständen der Popkultur Scheinunterschiede sind: Ob diese oder jene Automarke, ob dieser oder jener Spielfilm wird so irrelevant. Ihre These geht auf eine Analyse der Moderne zurück, die besagt, dass die Naturbeherrschung, die die Aufklärung kennzeichnet, auf den Menschen zurückschlägt: So wie die Natur nichts mehr sein soll als das, was wir an ihr berechnen können, so werden die Menschen auf ihren Nutzen für Marktzwecke reduziert.

Ich halte Teile dieser Analyse für berechtigt, das Urteil über die Popkultur als Kulturindustrie aber für unfair. Es übersieht nicht allein den hochgradig reflexiven Charakter der Popkultur. Modestile werden bewusst zitiert, Kommunikationsformen im Medium etwa von ,Memes‘ parodiert und Popsongs werden gerade deshalb genossen, weil jedem klar ist, dass der schlichte Sinn vieler ihrer Texte nicht bare Münze ist. Vielmehr stemmen sich viele Gegenstände der Popkultur bewusst gegen ihre Reduktion auf eine ökonomische Logik. Natürlich ist der Hollywood-Film auch ein großes Geschäft. Aber das heißt nicht, dass in ihm nicht zündende ästhetische Reflexionen statthaben können. Und nicht alle Videospiele wiederholen unsere Arbeitsformen in der Freizeit (etwa im Sinne repetitiver Tätigkeiten in diesen Spielen): Viele Spiele thematisieren sich selbst als Spiele und damit auch uns als Spielende. Den starken normativen Sinn des Unterschieds von ,Popkultur‘ und ,Hochkultur‘ gilt es somit zurückzuweisen.“

Daniel Martin Feige ist Professor für Philosophie und Ästhetik an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Er hat Bücher zum Jazz, zu Videogames, zum Design und zur Natur des Menschen geschrieben. Sein nächstes Buch „Kritik der Digitalisierung“ wird 2024 erscheinen.