Should I stay or should I go – Bestandsbauten erhalten oder abreißen?

Wir stellen regelmäßig Persönlichkeiten aus der Kreativwirtschaft eine Frage zu aktuellen Entwicklungen in ihrer Branche - dieses Mal: Pia Maier Schriever von RUSTLER SCHRIEVER ARCHITEKTEN

„Wir brauchen eine neue Baukultur für das 21. Jahrhundert. Architektur, Qualität und der Wert der Gestaltung unserer gebauten Umwelt muss wieder stärker in das allgemeine Bewusstsein rücken. Neben Verantwortung, Haltung und unseren Werten muss auch die Ästhetik im 21. Jahrhundert neu verhandelt werden. Wir können die anstehende Transformation unserer gesamten Umwelt hin zu einer nachhaltigen Welt nur in Verbindung mit dem Bestand und mit einer Kultur des Weiterbauens meistern. Der Bausektor verursacht knapp 40Prozent der globalen CO₂-Emissionen und stellt somit einen der größten Auslöser des Klimawandels dar. Um die Klimaziele von Paris zu erreichen, müssen gerade in diesem Bereich energieund CO₂-reduzierende Konzepte entwickelt werden. Der Fokus beim nachhaltigen Bauen liegt bisher vorrangig auf den Betrachtungen zum Neubau. Der wesentlich signifikantere Bereich für eine erfolgreiche Klimawende ist jedoch der Gebäudebestand, welcher den überwiegenden Teil der gebauten Umwelt darstellt, ihn gilt es innovativ zu transformieren. Bisherige Lösungsansätze für einen Umgang mit dem Bestand sind stark geprägt von der dämmtechnischen Optimierung der Gebäudehülle und der energetischen Verbesserung der haustechnischen Systeme. Die klimagerechte Transformation des Bestandes wird somit vorrangig technisch betrachtet und weniger aus baukultureller Sicht. Unsere gebaute Umwelt bildet das zentrale wahrnehmbare Fundament unserer kulturellen Identität. Eine klimagerechte Transformation kann nur gelingen, wenn sich die Veränderungen aus unserer Kultur heraus entwickeln. Dabei bilden die historischen Schichten unserer gebauten Umwelt einen essenziellen Bestandteil unserer kulturellen Prägung. Die Ansätze für eine klimagerechte Transformation des Gebäudebestandes sind daher gerade in Bezug auf die baukulturellen Werte zu entwickeln. Erst durch die Spuren der Zeit, durch die Materialität, die Patina, wird die Geschichte für die Betrachter spürbar und sichtbar, sie sind die Träger und die Vermittler der Geschichte. Werden die Zeitspuren zerstört, verliert das Gebäude die Sichtbarkeit und Wahrnehmbarkeit seiner Geschichte. Jede Veränderung an einem Gebäude sollte dessen Geschichte bewahren und gleichzeitig seinen Charakter fortschreiben, weiterbauen und neu interpretieren – Rückbauen, Umbauen,  Weiterbauen – Baukultur im 21. Jahrhundert bedeutet: Unseren Gebäudebestand in Verbindung mit dem Neuen in die Zukunft zu transformieren.“

Pia Maier Schriever, RUSTLER SCHRIEVER ARCHITEKTEN